Das dunkle Herz der Schuld: Roman (German Edition) by Ian Rankin

Das dunkle Herz der Schuld: Roman (German Edition) by Ian Rankin

Autor:Ian Rankin [Rankin, Ian]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Goldmann Verlag
veröffentlicht: 2015-01-25T05:00:00+00:00


9

Der alte Mann auf dem Gehsteig spuckte auf seinen Lieblingsflecken, die Hände in den Taschen, als wären sie festgenäht. Er beobachtete den Jungen mit zusammengekniffenen Augen. Der Alte war aus dem Wettbüro gekommen, wo er ein paar Pfund in den Sand gesetzt hatte, und sah sich nun zu allem Elend auch noch mit der Erinnerung an den tragischen Tod seines einzigen Sohnes konfrontiert. Er ließ den Jungen nicht aus den Augen, als dieser fröhlich näher kam. Er ballte seine Hände zu Fäusten. Er mochte alt sein, aber sein Herz war stark genug, um zu hassen, und es war blanker Hass, den er für diesen Jungen empfand und für seine Mutter, die Hexenhure.

Sandy erreichte die niedrige Mauer vor einem der Bungalows, die für ältere Bürger der Gemeinde gebaut worden waren. Er hievte sich hinauf, ließ die Beine baumeln und dachte über Rian und ihre rätselhaften Worte nach. Konnte er ihr glauben? Und wenn ja, was verbarg sie wohl noch alles vor ihm?

Die Sonne schien wieder, und es hieß sogar, dass eine lange Trockenperiode bevorstehe. Sandy sah hinüber zu dem Obstladen auf der anderen Straßenseite. Für Obst hatte er heute kein Geld. Ein kleines Auto näherte sich. Es hielt an. Langsam senkte sich die Scheibe, und eine Stimme rief ihm etwas zu. Ein junger, bärtiger Mann streckte den Kopf aus dem Wagen, soweit sein Gurt es erlaubte. Seine blauen Augen glänzten. Ihr Blick war so durchdringend, dass Sandy ihn mied und in die Ferne sah, als er neben dem Wagen in die Hocke ging. Dabei entdeckte er die gebeugte Gestalt des Alten vor dem Wettlokal. Er wusste, wer das war. Seine Augen fanden keine andere Zuflucht als den fleckigen Asphalt des Gehwegs.

»Entschuldigung«, sprach ihn der Autofahrer an, »ich suche die Pfarrkirche St. Cuthbert. Ich glaube, die Wegbeschreibung, die ich hier habe, stimmt nicht.« Er raschelte mit einem Stück Papier, auf dem mehrere schwarze Striche zu erkennen waren. Sein Akzent klang schottisch, aber nicht nach einem Einwohner der Grafschaft Fife. Gebildet, daran bestand kein Zweifel. Er sprach wie ein Fernsehmoderator. »Ich bin hier zwar schon einmal gewesen, aber ich fürchte, mein Orientierungssinn lässt mich heute im Stich.« Sandy nickte und runzelte die Stirn.

»Sie müssen in die Richtung fahren, aus der Sie gerade gekommen sind, aber dann müssen Sie sich links halten und über die Brücke«, sagte er langsam. Der Mann nickte.

»Vielen Dank. Ich soll hier der neue Pastor werden, wenn es Gott und den Menschen gefällt. Werde ich dich und deine Eltern eines Tages in der Kirche sehen?«

Sandy starrte ihn an. Was für eine Dreistigkeit! Der Mann grinste Sandy durch seinen Bart hindurch an, und Sandy verzog den Mund.

»Eines Tages«, sagte er. »Eines Tages.« Der Pastor lachte schallend, offen und natürlich. Nicht übel, der neue Pastor, dachte Sandy. Das Fenster schloss sich wieder, der Wagen fuhr an, wendete und entfernte sich mit einem Hupen, das Sandy mit einem lässigen Winken quittierte. Den Alten würde er ignorieren, hatte er beschlossen. Er hatte nicht weniger Recht, hier zu sein, als alle anderen Menschen.

Matt Duncan spuckte noch einmal aus.



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